KAIROS//GIFT - Die Sicht einer Blogabonnentin


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Einen Blog zu lesen, ist durch seine formalen Aspekte, die „Herumklicken“, „Scrollen“ und
„Zoomen“ ermöglichen, sicherlich kein vertikales Rezipieren, das von oben nach unten verläuft,
sondern im Fall von „KAIROS//GIFT“ vielmehr ein Konglomerat bestehend aus den Komponenten
„Zeit“ und den „bloggenden Individuen“. Die Individuen Anne-Lena, Karl-Konrad, Laura, Luise,
Lorá, Marie, Sophia, Timm und Frau Moehrke sollten die Erfahrungen, die sie im Rahmen ihrer auf
Gabe basierenden Reise gemacht haben, in diesem Blog festhalten.
Inwiefern diese Blogeinträge Einblick in die individuelle Erfahrung der Reise für Außenstehende
gewähren und ob der Blog sich als ein passendes Medium dafür anbietet, sind wohl die Leitfragen,
die mich beim rezipieren der Beiträge begleitet haben.
Zunächst sollte angemerkt werden, dass die Umsetzung dieses offenen Reiseprojekts wohl auf
Herausforderungen und Hindernisse treffen lässt, welche sich den Teilnehmenden in ihrem Alltag
nicht auf diese Weise auftun, sei es die Essensbeschaffung oder die Sicherung eines
Schlafplatzes. Hinzu kommt der Rahmen des Blogs, den es zu füllen hieß - auf den eigenen
Smartphones, mit schlecht funktionierenden Applikationen und Websideformaten, die auf den
Touchscreens mikroskopisch klein sind.
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Mit diesem Hintergrund habe ich die Beiträge mitverfolgt und möchte im Folgendem auf die
Beiträge der Teilnehmenden eingehen:

Anne-Lena und Marie
Anne-Lena und Marie scheinen gemeinsam gereist zu sein, da sie auch gemeinsam gepostet
haben. Der erste Post am ersten Tag gibt zunächst nüchtern Auskunft über den Reiseplan oder die
bereits zurückgelegte Reise, während im zweiten Post zwei Tage später bereits Erfahrungen, und
Denkanstöße beinhaltet, dieses anzunehmen. Hinter einem fröhlichem Foto, das die beiden beim
Eisessen zeigt, verbirgt sich eine rührende Geschichte, über Mainzer_innen, die es den Beiden
unbedingt ermöglichen wollen, das beste Eis der Stadt zu genießen, sowie interessante
Überlegungen zum Gegenwert des Geldes, den anzunehmen, den Beiden viel schwerer gefallen
ist, als es bei der Annahme von materiellen Gaben der Fall war. Über diesen Aspekt musste ich
sehr lange nachdenken, und habe dabei im Kopf immer zwischen emotionalem Wert, dem Wert
der „Lebensmittelmaterielle“ und die gleichzeitige Umrechnung in ihr Pendant als Geldwert,
abgewogen.
Laura und Sophia
Laura und Sophia haben am zweiten Tag ihrer Reise wohl gleich den ersten Beweis einer Gabe
dokumentiert, dabei handelt es sich um die hinterlassene Nachricht von der fürsorglichen Hannah,
die ihr Zuhause in Heidelberg, Brot, Käse und Kaffe mit den Reisenden teilt. Bei ihrem Post vom
Tag darauf bekommt der Rezipient gleich mehrere Ortswechsel mit: eben waren die beiden noch in
Heidelberg, jetzt ist schon die Rede davon, wie aus Freiburg Konstanz wurde, verbildlicht durch
Fotos, die einem verraten, dass dies wohl über eine Fähre geschehen ist. Ich schlussfolgere Gabe
Nummer 2: eine Fährfahrt nach Konstanz? - Ich will mich nicht blamieren schaue auf der Karte
nach, und komme zum Schluss, dass die beiden wohl mit der Fähre über den Bodensee gefahren
sind. Der nächste Post vom selben Tag heißt plötzlich Côte d’Azur, natürlich befinden sich Laura
und Sophia jetzt nicht an der Côte d’Azur sondern bei einer Gaststätte in Konstanz? Gabe? Das
zweite Bild unter dieser Überschrift zeigt ein Banner an einer Häuserfassade. VOLLE KRAFT
WOHIN? heißt es da und das frage ich mich auch, weil das der letzte Post der beiden ist.
Luise
Als Einstieg lässt Luise den Leser erst einmal Zitate von Marcel Mauss lesen in dem die
persönliche Bindung des Gebers zu seiner Gabe und das Konzept des Zurückgebens im Maori-
Recht thematisiert, „denn etwas von jemand annehmen heißt, etwas von seinem geistigen Wesen
annehmen, von seiner Seele; es aufzubewahren wäre gefährlich un tödlich …“ Die Zitate stehen
unter der Überschrift „Loslegen“ und unter einem Foto, der Sachen, die Luise auf ihre Reise
mitnimmt und stellt damit eine Erwartungshaltung nicht nur für sich sondern auch für den
Rezipienten in Aussicht. Wie geht sie auf dieser Reise wohl mit Gaben um? Was gibt sie zurück?
Der nächste Post verrät nach genauerem Betrachten, dass Luise sich im Auto befindet und
vielleicht schon in Karlsruhe ist und sich vor nichts zu fürchten braucht, da sie den Flyer einer
Ausstellung gelesen hat, der das besagt. Ich habe den Flyer auch gelesen und kann furchtlos
sagen, dass sie mit Una und Karl-Konrad reist. Die folgenden Posts sind Dokumentationen der
Gaben in Form von Schlafplätzen an den verschiedenen Reisestationen, die durchaus ein Stück
des Gebers sind. Der Schlafplatz in Maisod ist ein Zelt, hierbei ist die Gabe wohl die Weide von
Bruno, wärend der letzte Schlafplatz unter der Überschrift „Ankommen“ verrät, dass Luise jetzt
wieder zu Hause angekommen ist. Die Fotos der unterschiedlichen Schlafplätze sind ein
interessanter Einblick auf die sehr persönliche Ebene von Gabe.
Una
Der erste Post gibt stichpunktartig die wichtigsten Ereignisse des Tages wieder und zieht Bilanz
über den vollzogenen Gabenaustausch im Laufe des Tages. Ist Lächeln währungshaft? Der zweite
Post gibt durch die Stichpunkte auch kleine Einblicke auf die Gaben von der Reise von Freiburg
nach Bern, die sich mit den Fotos ergänzen - Gaben umfassen auch Kultur und Menschen.
Eine Auflistung der erhaltenen Gaben und der Gaben, die gegeben wurden, lassen den Verlauf der
Reise vom Rezipienten rekonstruieren. - Was können die Reisenden anbieten? Der nächste Post
beschäftigt sich mit der Annahme und ihrer Verpflichtung in Chamois. Wichtige Bestandteile der
Posts sind Ortsangaben und eine Rekapitulation des Gabenkontos. Die Fotos eröffnen die
persönlich erlebte Ebene, während der Text sich sehr auf das Konzept der Gabe fokussiert.
Während der Reise wird in den Texten der Fokus stark auf das Thema der Gabe gelegt, während
bei der Ankunft in Maisod die Posts als Dokumentation des Erlebten dienen und die anderen
Reisenden mit einbezieht - für sie miterzählt.
Karl-Konrad
Karl Konrad ist passiv durch die Posts seiner Mitreisenden durch Foto und Tags sehr präsent,
wodurch es wenig auffällt, dass er selbst keinen Beitarg verfasst hat.
Lorá
Die Posts von Lorá sind kaum noch Dokumentation sondern schon eher eine Verarbeitung dessen,
was sie auf ihrer Reise erlebt hat. Ich weiß nicht wo sie sich befindet, kann aber versuchen zu
verstehen was sie empfindet. Die Posts geben eine Atmosphäre wieder. Die Zusammenstellung
von Bild und Schrift gehört zu dem Aufbau der Atmosphäre dazu, das Bild ergänzt den Text und
bietet eine weitere Perspektive.
Timm
Der meist geklickte Beitrag (wohl auch durch die technische Umsetzung eines Facebookposts) ist
der einzige Beitrag von Timm. Er besteht aus zwei Fotos und Textfragmenten und ist einen Tag vor
dem Reisebeginn hochgeladen worden. Handelt es sich hierbei um das Einfangen von
Atmosphäre vor dem Reisen „busyness“? Ein Telefonat, ein Schacht? Hat das was mit der Reise
zu tun? Willkürlich/durchdacht? Fügt sich vielleicht ein Bild nach der Reise zusammen? Kritik am
Blog? - Foto anklicken - kann nichts anklicken. Blog und Reise nicht miteinander vereinbar. Wofür
nutzt Timm einen Blog? Lustig paradox, weil der Beitrag, der meist gesehenste ist.
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Als diejenige, die den Blog miterstellt hat und damit den ersten aktiven Kontakt damit hatte, sehe
ich Probleme und Vorteile in der Führung eines solchen Blogs.
Durch die Tags war es den Reisenden möglich auch gemeinsam zu posten, sodass diejenigen, die
nichts gepostet hatten, trotzdem Bestandteil des Blogs sein konnten. Er bietet die Möglichkeit
durch Schrift und Bild mehrere Kanäle anzusprechen, und Eindrücke damit umfassender
festzuhalten. Über mehrere Kanäle wurde der Rezipient vorallem durch die Beiträge der einzelnen
Personen bedient, die so unterschiedliche Perspektiven haben, dass es ohne den Rahmen des
Blogs wohl gar nicht unbedingt klar gewesen wäre, dass es sich hierbei um Reisende ein und
desselben Reisprojekts handelt. - Was für mich einen Mehrwert darstellt.
Die Schwierigkeit den Blog auf Reisen zu bedienen und die Frage des Mitteilungsbedürfnis und
des sich in einen Rahmen-drängens bei der Reise oder ob man beim Posten der Authentizität der
Reiseerfahrung gerecht wurde und was die Zielsetzung eines solchen Blogs ist, sind sicherlich
Fragen, die einen Diskurs einladen.
Den Lesern dieses Blogs wurde ein kleiner Einblick in ein Reiseprojekt geliefert, der aber
keinesfalls die Gänze des Projekts darstellt - Was für einen Stellenwert hat der Blog? Wie kann der
Blog weitergenutzt werden oder soll er nur kleine Einblicke verschaffen und den Leser dazu
auffordern sich selbst auf solch eine Reise zu begeben? Sollen Inhalte der Klausurtage auch
weitervermittelt werden - vielleicht im Blog?

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