Binde mir die Schuhe! Die Handlung als Zeichen und das Zeichen als Symbol.
Von
meinen Gabeexperimenten in Berlin blieb mir vor allem eine Situation
im Gedächtnis:
Ich
lernte einen Mann auf dem Viktoria-Luise-Platz kennen. Wir
verbrachten eine Stunde miteinander und in dieser Zeit wechselten
Zigaretten, Feuerzeuge, Aufmerksamkeit, Gesagtes, Gesprochenes,
Gefragtes, Erlebtes, Essen und Trinken den Besitzenden. Ein
florierendes Schenken, Annehmen und Erwidern. Während eines
gemeinsamen Ortswechsels fiel ihm auf, dass meine Schnürsenkel offen
waren. Bevor ich darauf reagieren konnte, hatte er sich zu meinen
Füßen gebeugt und meinen Schuh zugebunden. Schnell und sorgfältig.
Überraschend.
Ich
hatte dies von ihm weder erwartet noch erwünscht. Es fühlte sich
auf der einen Seite unangenehm an, denn die Geste hatte etwas von vor
mir auf die Knie gehen, sich mir zu Füßen legen. Auf der anderen
Seite war es ein Moment großer Nähe zwischen uns, fast wie eine
Mutter, die ihrem Kind die Schuhe anzieht oder wie ein Mann, der
seiner Geliebten einen Heiratsantrag macht. Er war für mich wie eine
Zäsur in unserem Geben und Nehmen. Mein Bild unseres bisherigen
Austausches passte für mich nicht dazu.
Kniend
vor einer Person zu sein, als Geste und Symbol, kann vieles bedeuten.
Unterwerfung,
Demut, Flehen, Bitten, Ehrerbietung, Schutzmechanismus.
Auch
wenn die eigentliche Handlung des Schuhebindens dies nicht
impliziert, wird die Situation durch die Symbolik des Knieens
aufgeladen.
Ich
möchte mich weiterführend mit dieser Situation und Geste
auseinandersetzen und fragen, welche Rolle die Demut beim Geben und
Nehmen spielt.